Pfaueninsel

Ein Märchen

Von der Pfaueninsel-Projekt von Ann McCoy

Im Zeitalter des endlosen Winters war die Sonne eine blasse Erinnerung im Himmel und dunkle Wolken verschleierten die Paläste des Ostens und des Westens.

Die Kreuzzüge des Ostens hatten die Armen des Königreichs ausgelaugt. Im weißen Palast des Westens waren die Körper der Gefallenen an den Wänden gestapelt und über die weißen Marmortreppen goss das Blut. Fette schwarze Krähen blähten sich auf Leichen junger Männer und der Gestank wurde unerträglich. Der endlose Krieg hatte eine ebenso endlose Anzahl toter Soldaten erzeugt. Im Osten gingen die jungen Mohren in ihre Gräber: Ihrer Religion entsprechend wurden sie begraben, man sah nur die Haufen verschleierter Körper, begraben neben denen der alten Krieger in ummauerten Friedhöfen.

Die Offiziellen schenkten dem keine Aufmerksamkeit. Es waren die Menschen außerhalb der Mauern, deren Bedrückung mehr und mehr zunahm. Während die Söhne der Armen tot und entstellt von den Kreuzzügen zurück kamen, fiel das Königreich in eine düstere Stimmung. Der Gestank wurde schlimmer und schlimmer, die Geier und Krähen saßen auf den Mauern der Stadt, Mütter weinten um ihre toten Söhne, wie sie es seit Jahrhunderten taten.

Die Männer des Königs stapelten die Münzen in den Kontoren, Ölfässer und Gold füllten die Schatzkammern des Ostens. Sowohl die fernen Länder und das Königreich waren geplündert, König und Hof wurden jeden Tag reicher. Es ist die alte Geschichte: Ein alter König, zählt sein Geld im Palast, während sein Land ausblutet und die Bewohner verzweifeln. Es gab keine gute Königin, die in der Kapelle für die armen Seelen des Königreichs betete.

Der König war ein Feigling und hatte sich als junger Mann geweigert in den Kampf zu ziehen; er hatte immer andere in den Tot geschickt. Jedoch trug er militärische Kleidung und marschierte so auf den Planken königlicher Schiffe.

Am Tag als der König im Kampfanzug durch die Stadt marschieren sollte, fiel er zu Boden: Er schwoll an wie eine Laus, sein Kopf bekam die Grösse einer Melone und er konnte auf seinen dicken Beinen nicht länger stehen. Sein fiebernder Wahnsinn war allen offensichtlich. Ärzte aus allen Reichen wurden gerufen, den König zu heilen da seine königlichen Ärzte ihm nicht mehr helfen konnten. Nach dem jeder bekannte Arzt sein Können versuchte und versagte, wurde der Alchemist Johaan Kunckel und mit seiner Assistentin der Gräfin von den Kammerherren gerufen. Jener Alchemist und seine Partnerin heizten den Schmelzofen in betender Einsamkeit.

Kunckel hatte ein geheimes Labor auf der Pfaueninsel. Er war bekannt für seine Heilmittel und für das Erzeugen von Rubinglas. Seine Glaserei lag abgelegen, um das Verfahren geheim zu halten und keinem Besucher war es möglich an der Insel anzulegen. Das Labor war als Ort der Seelenheilung und der Rubinglaserzeugung von der Gräfin und Kunckel erbaut worden. Die Schmelzöfen brannten gleichmäßig dank ihrer großen Aufmerksamkeit. Die Insel war friedlich und im Garten streunten Hasen und Pfauen.

Der Körper des Königs wurde auf ein Schiff verladen und zu Kunckels Labor auf die Pfaueninsel gebracht. Eine lange Barke trug den geschwollenen Körper des Königs in einem bleiernen Sarg. Immer wieder schrie er: Jener, der mich rettet, wird mein Königreich erben. Seine Verzweiflung wuchs. Im Dunkel der Nacht landete sein Boot an der Insel. Kunckel begann seine Schmelze mit Buchenholz zu feuern. Gräfin blies Wind in die alchemistische Schmelze mit Blasebalken. Der König wurde auf einem Brett getragen und in die Schmelze gelegt.

Auch den Körper des Königs aus dem Osten brachte Kunckel herein. Der Mohrenkönig war in einen ähnlichen Zustand verfallen, er war schwarz wie Pech und musste in einem Bleisarg getragen werden. Die Mohren waren die Erbfeinde des Koenigreichs. Die königlichen Truppen waren im Osten gewesen, gegen die Mohren kämpfend, im großen endlosen Krieg. Auch der König der Mohren wurde von Kunckel in den Ofen gelegt. König und Mohr wurden drei Tage gebacken. Als die Öfen sich öffneten wurden zwei Haufen Asche in den Schmelzen gefunden. Kunckel nahm die Asche und vermischte sie im Mörser und zerrieb sie mit einem Stößel. Die Gräfin gab heiliges Wasser aus der Kapelle der Insel hinzu.

Die Asche wurde mit der schwarzen Flüssigkeit gemischt, die in die Pfanne am Boden der Schmelze gesickert war.

Kunckels Glaserei benutzte Gold in seiner kleinsten molekularen Struktur, um blutrotes Glas herzustellen. Diese Vereinigung von schwarzer Essenz und Asche wurde in einen roten Glasbecher gegossen und in die Sonne gestellt. Schwarze Krähen begannen aus der schwarzen Flüssigkeit in die Bäume zu fliegen. Die schwarze Flüssigkeit aus König und Mohr verdickte sich und wurde dann in eine Pfanne gegossen und in einen langsam brennenden Ofen aus Backstein gelegt. Die Flüssigkeit verdunstete und der Teig begann die Form eines zweiköpfigen Mannes anzunehmen. Kunckel und die Gräfin beteten Tage neben dem Ofen. Als der Ofen geöffnet wurde erschien ein Unipedes, ein Einfüßer, mit zwei Köpfen. Ein Kopf war der des Koenigs, einer war der des Mohren. Die beiden Köpfe sahen sich an und riefen: Wir sind eins. Der Unipedes ist wie eine Münze; der dunkle Bruder und ich, wir sind dieselbe Münze, aber die zwei verschiedenen Seiten. Wir projizieren unser Böses aufeinander. Diese Projektion muss weichen, sodass der Prozess weitergehen kann.

Das Unipedes kämpfte mit dem Gehen auf der Insel und setzte sich auf einen Stein, weinend auf das Ufer blickend. Die beiden Königlichen Schiffe lagen am Kai, aber jetzt würden sie nie zu den verschiedenen Koenigreichen zurück segeln können. Der Mohr und der König waren in ihrer Trauer verbunden. Kunckel kam und führte das Unipedes in sein Labor. In Kunckels Haus sahen sie einen Tisch mit einem großen roten Reagenzglas. Ihre Tränen wurden in diesem Reagenzglas gesammelt und über einer Flamme erhitzt. Im roten Licht begann eine kleine Frau im Reagenzglas zu wachsen. Das Unipedes weinte weiter bis all die Tränen das Glas füllten. Das Unipedes fiel zu Boden, eine leere Haut. Kunckel kehrte die leere Haut auf und warf sie in das Feuer.

Die Flüssigkeit der Tränen und die kleine Frau wurden neun Tage in einen hochkantigen Tonofen gelegt. Als der Ofen geöffnet wurde, erschien ein roter junger Mann. Er kroch aus dem Ofen und stand nackt dort, ein schöner Junge. Kunckel ließ die Gräfin für diesen jungen roten Prinzen ein königliches Kostüm aus Gold und roter Seide schaffen. Der Prinz spazierte über die Insel, das Schloss und die Gebäude erforschend. In einem Hain entdeckte er einen kleinen, der Venus gewidmeten Tempel. Ein roter Vogel ließ sich auf seiner Schulter nieder und forderte ihn auf den Tempel zu betreten. Drinnen fand er eine schlafende weiße Königin kalt wie Eis auf einem Stück Marmor. Sie hatte seit Jahrhunderten geschlafen und war in griechische Roben gehüllt. Als sie ihn küsste, erwachte sie und ihr Körper begann sich zu röten. Blut schoss durch ihre Venen und er erkannte sie als die kleine Frau aus dem Glas des Alchemisten. Auf dem Boden des Venustempels schliefen Priester und Ritter. Sie erwachten, stolperten aus der Gruft, ihre Augen vor dem Anblick der nackten, leuchtend roten Königin schützend.

Sie rannten in den Wald. Die Venuskönigin erzählte dem Prinz von ihrem langen Schlaf durch die Jahrhunderte. Sie war in einen tiefen Schlaf gefallen, als jene Männer, die ihn ihrer Gruft geschlafen hatten ihren Tempel zerstörten.

Die neuerwachte Königin und der Prinz gingen in den Wald der Insel bis sie an einen Brunnen kamen. Der rote Vogel hieß sie ein Bad zu nehmen. Nackt badeten sie im Brunnen und begannen rot ihm Sonnenlicht zu leuchten. Sie tauchten in das Wasser und tranken vom Brunnen. Ihre Körper waren jugendlich und glichen einander wie die von Bruder und Schwester. Der Prinz hielt ihre linke Hand in seiner Linken und bat sie ihn zu heiraten. Eine weiße Taube schwebte vom Himmel herab und flog um den Brunnen. Während sie vom Brunnen tranken wurden sie zueinander geführt, in einer im Königreich bislang unbekannten Leidenschaft. Es war eine Vereinigung, sogleich heilig und gewalttätig, gleich zwei Wölfen, die sich in zwei Pfauen verwandeln. Das Wasser des Brunnens floss rot und glitzernd im Sonnenlicht.

Prinz und Königin schlenderten über die Insel, Leitern erklimmend und Früchte von den Bäumen pflückend. Die Körbe voller Früchte wurden auf die zwei geankerten Schiffe der toten Könige geladen und nach Ost und West verschifft. Sie trugen Bottiche mit rotem Wasser des Brunnens zusammen und füllten es in rote Gläser als Fracht zu den Völkern, leidend im ständigen Krieg. Rote Vögel wurden geschickt um zu singen. Und auch Gebete des Alchemisten Kunckel und der Gräfin waren Teil der Ladung. Es ist diese rote Flüssigkeit, Vögel, Gebete und Frucht, die in den Zeiten des Krieges am nötigsten sind. Alte Könige müssen sterben und durch neue ersetzt werden, Tänze zu uralten Göttinnen aufgeführt werden, sodass die Felder neue Früchte hervorbringen.

Jetzt war es Zeit eine königliche Hochzeit zu planen. Zusammen mit Kunckel und der Gräfin trat das Paar in den Rosengarten. Nur ein wiedergeborener König der sich Tot und Verwandlung unterzogen hat, konnte wie er den Garten in Begleitung seiner Königin betreten. Die Königin übergab dem Prinzen die Schlüssel zum Garten und das königliche Paar und Kunckel und Gräfin traten ein. Sie gingen in den großen Kreis und saßen zwischen roten und weißen Rosen, während die Rosenbüsche goldene Münzen abwarfen. In der Mitte des großen Kreises zogen sie einen zweiten Kreis für ihren Hochzeitspavillion. Die Sonne fiel auf die Münzen und spiegelte die Strahlen zurück in die Himmel und die Münzen begannen sich zu vermehren.

Um einen Pavillon zu bauen würde man neue Architektur und einen neuen Architekten brauchen. Das Gebäude muss einer Vision entspringen, dem Traum eines Architekten. Boten wurden in die vier Himmelsrichtungen gesandt um solch einen Erbauer zu finden. Schließlich fand sich ein Architekt aus Indien. Ein Kreis wurde in einem Viereck gezogen und vom Schutt gereinigt. Goldene Münzen, Diamanten und Federn roter Vögel wurden mit Rosenblüten aus dem Garten in den Kreis gelegt. Die beiden Paare saßen auf dem Boden und Kunckel und die Gräfin beteten, um die roten Vögel aus dem Himmel herab zu holen. Weißer Schnee begann zu fallen und die Gärten wurden von sanften weißen Flocken bedeckt. Ruhe legte sich über die Insel und es herrschte eine friedliche Stille.

Der Architekt ging in Kunckels Glaserei. Hunderte Scheiben roten Glases wurden hergestellt. In der Mitte des Gartens wurde ein kreisrunder Pavillon erbaut mit Palmen und Rosen und hunderten von Pfauenpaaren. Vor dem Pavillon stand eine weiße Burg mit einem männlichen und weiblichen Turm. Die beiden Türme waren durch eine Brücke verbunden. Der rote Prinz und die Königin trafen sich auf der Brücke und von unten betrachteten die Besucher wie sie sich umarmten. Jene die den Gartenpavillon betraten mussten allen Hass, alle Angst und Eigensucht aufgeben und im Gebet und mit Vergebung kommen. Jeder Besucher wusch die Füße seines Bruders und seiner Schwester und trocknete sie mit Blütenblättern des Gartens. Danach grüsste jeder Gast das Göttliche im Anderen und verneigte sich. Jeder Anwesende machte ein Versprechen der Vergebung, Während sie in das Gebäude eintraten. Im roten Glashaus gab es weder Dunkel noch Licht, nur Wärme und Eros. Der rote Prinz erschien, die Königin zu heiraten, die Göttin des Himmels und der Erde. Kunckel und Gräfin bauten einen roten Pavillon um die Rückkehr erotischer Leidenschaft, göttlicher Liebe und mystischer Vereinigung zu loben.

Die Planer endloser Kriege können solch eine Insel nie besuchen. Sie müssten all ihr Wissen aufgeben. Denn die Insel ist ein Ort in dem Vögel und Hasen und kleine Waldgeschöpfe mit königlichen Paaren wandeln und Friede herrscht. Musik, erotisches Spiel, Gartenkunst, Alchemie und Gebete zu den Himmeln beschreiben den Weg der Seele. Die Männer des Krieges können nie solche Freuden kennen. Die Pfaueninsel ist keine gewöhnliche Utopie. Um zur Insel zu kommen wir verlangt, dass man stirbt und seine Form ändert. Die Seele, seit langem im Westen vergessen, erwächst hier im Rosengarten, von dem Alchemist Kunckel und seiner geliebten Gräfin gepflegt. Die roten Vögel umschließen jede Seele mit ihren Flügeln und setzen sie sanft in die Blütenblätter der wachsenden Rosen. Rotgefärbte Wasser ernähren zart die Wurzeln der Büsche und die Seele wächst in Frieden.

Ann McCoy
Translated by Martin Reckhaus